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Krieg gegen die Gemeinschaftsschule

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Datum: 02.09.2015

Die Gegner der Gemeinschaftsschule im Südwesten ziehen seit drei Jahren viele Register. Neuerdings wird sogar mit wichtigen Medien über Bande gespielt: Die FAZ präsentiert eine kritische Studie, die gar keine ist. Und selbstreferenzielle Gefälligkeitsberichterstattung liefert der Opposition immer neue Steilvorlagen für ihre Angriffe auf die Landesregierung.

Diese Lektüre ging den Modernisierungsskeptikern in CDU und FDP runter wie Öl. Spaltenlang mühte sich die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zu belegen, dass „das Projekt der Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg nicht so erfolgreich ist, wie Grün-Rot es gerne glauben machen will“. Ein „vernichtendes Gutachten“ werde unter Verschluss gehalten. Guido Wolf, der Herausforderer von Ministerpräsident Winfried Kretschmann zur Landtagswahl im kommenden Jahr, reagierte unverzüglich, sah endlich „schon lange befürchtete Qualitätsdefizite aufgedeckt“, warf Kultusminister Andreas Stoch (SPD) die Täuschung der Öffentlichkeit vor und verlangte gleich auch noch den Stopp des „ideologisch geprägten Konzepts“.

Keine 24 Stunden später wäre nach normalen Maßstäben eine umfassende Entschuldigung fällig gewesen. Wohl eher absichtlich hatte die FAZ eine überholte Analyse zum Zwischenstand der Entwicklung an einer einzigen Tübinger Schule hochstilisiert zur Generalabrechnung mit der angeblich untauglichen Pädagogik. Die Autoren des Papiers, allesamt Erziehungswissenschaftler, sahen sich – ungewöhnlich genug – „wegen falscher Aussagen zu einer Richtigstellung veranlasst“. Das Ministerium war gar nicht Adressat ihrer Einschätzungen, sodass der Geheimhaltungsvorwurf ebenso in sich zusammenbrach wie die Pauschalkritik am angeblich verfehlten erzieherischen Konzept. Der Leiter der Tübinger Schule meldete sich zwecks Klärung sogar aus seinem Urlaub in Dänemark.

Genutzt hat das alles nichts. Im Gegenteil, die Kampagne gegen Zwang und Gleichheit in der „sozialistischen Einheitsschule“, wie die Bildungspolitiker von CDU und FDP so gerne sagen, kam erst richtig in Schwung. Matthias Burchardt, Akademischer Rat an der Uni Köln, ist seit Jahren ein entschiedener Kritiker von PISA, von Inklusion und längerem gemeinsamen Lernen, gibt einschlägige Interviews landauf, landab, schreibt Aufsätze, lässt sich nicht beeindrucken durch die Begeisterung vieler Schüler und Schülerinnen für Eigenverantwortung und Selbstständigkeit im Unterricht. Interessierten Kreisen ist er bundesweit überdies bekannt als sogenannter Monsterologe, als Spezialist für Dämonen und Gespenster. Komplexe Zusammenhänge sind für ihn Monster unserer Zeit. Natürlich applaudierte er der FAZ-Kritik an der missratenen Reform in Baden-Württemberg und bekommt daraufhin in den „Stuttgarter Nachrichten“ selbst die Gelegenheit, über das „kalte System“ herzuziehen. Burchardt nennt es „fahrlässig“, weitere Schulen zu genehmigen.

Mit dem Alltag im Unterricht, der Atmosphäre in den Klassen, mit dem Arbeiten in der Gruppe oder allein, gar nicht zuletzt mit den Lernerfolgen hat das alles nichts zu tun. Dennoch oder gerade deshalb folgt sogleich die nächste Reaktion auf die von Burchardt: Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Georg Wacker, darf – wiederum in den StN – Burchardt zustimmen. Schülerinnen und Schüler hätten ein Anrecht darauf, dass Fehlentwicklungen „schnellstmöglich offengelegt werden“, verlangt er. Dass solche Fehlentwicklungen überhaupt nicht belegt sind, stört ihn wenig. Und flugs gehört die Negativ-Berichterstattung zum neuen Rederepertoire, Oppositionsabgeordnete beziehen sich darauf in der virtuellen und der realen Welt.

Die CDU war schon mal weiter

Dabei weiß es gerade Wacker besser: Bis 2011 war er Staatssekretär im Kultusministerium. Da war die Welt noch in Ordnung, da stellte die CDU mit Helmut Rau den Kultusminister, da wurden innovative Konzepte sogar prämiert. Einmal, 2009, zeichnete Rau im Rahmen einer Festveranstaltung im Stuttgarter Neuen Schloss die Elsenztalschule in Bammental nahe Heidelberg für das „hervorragende Programm zur Berufsvorbereitung“ aus und dafür, dass Schüler und Schülerinnen in einem Kurssystem kontinuierlich nach ihren Fähigkeiten und Leistungen neu eingeteilt und gefördert werden. Dieses Kurssystem hatte schon vor sechs Jahren wenig mit herkömmlichem Unterricht zu tun. Rektor Peter Fanta, persönlich geprägt vom kanadischen System, verantwortete weitreichende Reformen, die komplette Abkehr vom Stundentakt und Unterricht auf unterschiedlichen Niveaus in ein und derselben Klasse. Besonders warme Worte fand Minister Rau für Engagement und Eigeninitiative.

Ohne den Machtwechsel zu Grün-Rot hätten sich die zwei, drei Dutzend Schulen im Land wie diese, die bereits beachtlich weit waren auf dem Weg hin zu veränderten Lern- und Lehrformen, in Ruhe weiterentwickeln können. Und bestimmt wären sie als Vorzeigeprojekte mit immer neuen Preisen bedacht und von maßgeblichen CDU-Politikern gerühmt worden als Beleg für den kontrollierten Fortschrittsgeist ihrer Partei. Die Union hatte zu Beginn des Jahrzehnts eine lange bildungspolitische Findungsphase absolviert, bewegte sich langsam, aber sicher und nicht zuletzt unter dem Druck des demografischen Wandels auf ein zweigliedriges Schulsystem zu. Auch der Widerstand im programmatisch alles andere als innovationsfreudigen baden-württembergischen Landesverband begann zu bröckeln, als selbst immer neue Millionenspritzen die Akzeptanz von Haupt- und Werkrealschule unter den Eltern nicht stabilisieren konnten.

Auf den Wahlsieg von Grünen und Roten 2011 folgten Vollbremsung und Kehrtwende. Vom ersten Tag an wurden Kampfbegriffe und ideologische Geschütze in Stellung gebracht. Die Parole: Was die neue Landesregierung treibt, kann nur des Teufels sein. Andersdenkende Fachpolitiker in den eigenen Reihen wurden kaltgestellt, die Zustimmung der Arbeitgeber zur neuen Schulform wurde ebenso überhört wie Appelle von CDU-Kommunalpolitikern, der Gemeinschaftsschule eine Chance zu geben, weil sonst – im dreigliedrigen System – die eigene Gemeinde Schulen schließen müsste. Schon Rau hatte immer kleiner werdenden Hauptschulen die Rute ins Fenster stellen müssen. Dennoch sprach die Opposition der veränderten Struktur jede Daseinsberechtigung ab. Sogar der in Bammental, die heute eine Gemeinschaftsschule ist und in der noch immer die Urkunde von 2009 an der Wand hängt.

271 Exemplare des neuen Schultyps gibt es mittlerweile zwischen Main und Bodensee, nicht verordnet, sondern alle von den Trägern beantragt. Sie sind verteilt über die vier Regierungsbezirke, verstehen sich als „leistungsstark und sozial gerecht“ und wollen „Schülerinnen und Schüler bestmöglich nach ihren individuellen Voraussetzungen, Fähigkeiten und Interessen fördern“. Was Burchardt als „kaltes System“ beschreibt, ist nach der pädagogischen Arbeitsgrundlage der Gemeinschaftsschulen eine „anregende Lernumgebung, in der voneinander und miteinander zielorientiert gelernt wird und wo selbstverantwortlich geforscht, gearbeitet, gespielt, gelacht und gefeiert werden kann“. Immer mit dem großen Ziel, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln, eine Herausforderung, die CDU-geführte Landesregierungen über Jahre nicht einmal als solche anerkennen wollten.

Elternvertreter sehen die Gemeinschaftsschule positiv

Die Schulen sind vernetzt, tauschen sich aus. Zehn von ihnen werden gerade im Auftrag der Landesregierung umfangreich wissenschaftlich begleitet, um noch vor den Landtagswahlen tatsächlich allgemeingültige Schlüsse für die Zukunft ziehen zu können. Auch die Eltern haben sich organisiert. Sie sehen sich als „Pioniere“. Sie beklagen, dass das längere gemeinsame Lernen noch immer gesellschaftlich umstritten ist. Sie legen sich mit Burchardt an, der „wenig wissenschaftlich“ argumentiere, sondern „bewusst unseriös verallgemeinert“. Und sie verweisen auf die vielen Preise, die einschlägige Kollegien regelmäßig einfahren.

Auf Gehör bei der Opposition brauchen diese Eltern aber gar nicht erst zu hoffen. Denn die lässt positive Stimmen konsequent unter den Tisch fallen. Seitenweise hat die CDU Argumentationspapiere für die Basis produziert, in denen Kritiker des schwarzen Fundamentalwiderstands komplett ausgeblendet sind. Im März gingen die aggressiven Angriffe sogar einer früheren CDU-Kultusministerin zu weit: Marianne Schulz-Hector stellte sich auf einer Veranstaltung ihrer Partei in der Stuttgarter Liederhalle vor den damaligen Vorsitzenden der Landeselternbeirats, Theo Keck. Der Polizeibeamte musste wütende Zwischenrufe über sich ergehen lassen, als er von der entscheidenden Vorstandssitzung berichtete, auf der die höchste Elternvertretung im Land nach intensiver stundenlanger Diskussion der Gemeinschaftsschule einstimmig(!) ihren Segen gab. Anstatt innezuhalten, verfielen einige im Saal auf die Idee, den demokratisch gewählten Elternvertretern einfach sofort jede Legitimation abzusprechen.

Je näher der Wahltag im nächsten März rückt, desto lauter dürfte das Feldgeschrei werden – die Würdigung der neuen und in anderen Ländern längst eingeführten Schulform durch Wissenschaftler, Eltern und Pädagogen, Schüler oder gerade durch Handwerk und Mittelstand vor Ort nicht achtend. „Es erschreckt mich“, sagt die GEW-Landesvorsitzende Doro Moritz, „dass die Oppositionsfraktionen sich nicht zu schade sind, auf Kosten engagierter Lehrkräfte Stimmung gegen eine wesentliche bildungspolitische Reform zu machen.“ So etwas habe sie in 40 Jahren Berufserfahrung noch nicht erlebt. Kein Wunder, denn in den vergangenen 40 Jahren wollten CDU und FDP auch nicht zurück an die Macht.